Der Dieb lehrte dem Polizeichef Karate. Ende April basierte der Karate-Lehrgang des TSV Grünwald e.V. auf dem Wissen eines Schiffbrüchigen. Er hieß Chinto, war Chinese und erlitt im 19. Jahrhundert Schiffbruch auf Okinawa. Um sich zu ernähren, versteckte er sich in einer Höhle und stahl nachts Lebensmittel und Kleinvieh.

Unser Referent Fritz Oblinger (9.Dan) hielt vor dem Hintergrund dieser Geschichte einen großartigen Karate-Lehrgang in Grünwald. Dabei baute er auf das Erbe der Techniken und Methoden auf, die dieser gestrandeten Chinese weitergegeben hatte.

In vier Trainingseinheiten verfolgten 69 Teilnehmer mit hoher Konzentration seinen Erklärungen und Übungen. Die Unterstufe lernte in ihrer Einheit die Kata Pinan Shodan aus dem Shito Ryu Karate-Stil. Die Oberstufe beschäftigte sich mit den Kampfmethoden von Chinto, die zum Teil in der Kata Gangaku Sho auftreten. Um Chintos Stil zu verstehen, übten sie begeistert diese schwierige Kata mit ihrer seltsamen Geschichte.

In der Pinan Shodan erweiterten die Karateka ihr Können, indem sie kreisförmige Angriffsmuster als besondere Methoden zum Kampf einübten. Schnell wechselnde Stellungen waren das Kennzeichen der Gangaku Sho. Fritz Oblinger forderte uns heraus, indem er eine Kata präsentierte, die höchste Ansprüche an Konzentration und motorisches Gedächtnis stellte. In der Gangaku Sho bestand die Anforderung darin, seltene motorische Abläufe einzuüben. Gleichzeitig sollten die Teilnehmer ungewohnte Stellungen einnehmen, um ihnen fremde Kampfkombinationen mit Füßen und Armen zu erlernen.
Während des sechsstündigen Trainings zog Fritz Oblinger unermüdlich durch die Halle, um mit Hinweisen den Lernerfolg zu vergrößern. Oft genügte schon eine einfache Information, z. B. einen Schritt mehr zur Seite zu gehen, um eine Übung zu perfektionieren.

Doch wie wurde damals der Polizeichef – er hieß Matsumura – ein Schüler von Chinto? Der Polizist stöberte ihn auf und musste leidvoll feststellen, dass der Chinese Chinto ein erfahrener Kämpfer war. Die Festnahme endete in einem Unentschieden. Matsumura bot an, ihn straffrei gehen zu lassen, wenn Chinto seine Kampfmethoden weitergab. Nach Chintos Rückkehr nach China bildete Matsumura aus dessen Methoden ein Kampfsystem (Kata) und nannte es Chinto.
Als Karate auf die japanische Hauptinsel Honshu kam, änderte Gichin Funakoshi, der Verbreiter des modernen Karate, den Namen der Kata. Seitdem trägt sie statt Chinto den Namen Gangaku und erhielt damit einen sehr poetischen Ausdruck: „Der Kranich auf dem Felsen”. Am Ende der Geschichte stand nun im April 2023 eine Variante, die Gangaku Sho, die Fritz Oblinger als Schwerpunkt unseres Karate-Lehrgangs in Grünwald auswählte.

Mit großem Applaus verabschiedeten wir Fritz Oblinger nach dem erfolgreichen Trainingstag und dankten ihm für seine sorgfältige Vorbereitung und ausgezeichnete Präsentation. Mit neuen Übungen und Wissen im Kopf, mit Erschöpfung in den Gliedern und dem Gefühl, im Karate einen wichtigen Lernschritt nach vorne gemacht zu haben, werden wir in unsere regulären Trainingsstunden zurückkehren. Nächstes Jahr, am 13. April 2024, werden viele erneut nach Grünwald fahren, wenn Fritz Oblinger wieder beim TSV Grünwald e.V. sein Wissen weitergeben wird.

Peter Henkel

Ben und Stephan beim Üben eines Armhebels

(Foto: Christian Killer)

Fritz Oblinger demonstriert einen Armhebel

(Foto: Christian Killer)

Erschienen:

  • BKB Homepage, 01.05.2023
  • Grünwalder Isar-Anzeiger, 04.05.2023