Wir schreiben den 28.02.2015. Es ist kalt und regnerisch am Rande des Bayrischen Wald in Tittling. Drei Karateka haben sich versammelt, um Ihre DAN Prüfung zu machen. Darunter, ich, angetreten zum zweiten Dan. Mir ist gleichzeitig heiß und kalt, mein Puls bei 160 und meine Füße so verschwitzt, dass ich bereits im Stehen auf dem Hallenboden ausrutsche. Ich versuche mich zu beruhigen. Sensei hat mir vor eineinhalb Jahren gesagt, dass ich unbedingt Prüfung machen soll. Und auch vor einem Monat hat er mir auf einem Trainingslager bestätigt, dass ich mir keine Sorgen machen brauche. Also, kein Grund durchzudrehen! Oder?
Die Prüfer betreten den Raum und sie reden uns nochmal gut zu. Wir beginnen mit Kion, der Grundschule im Karate. Jeder Prüfling ist nacheinander dran. Ich laufe meine erste Bahn, fünf Techniken, letzte mit Kiai. Ich schaue in die Gesichter meiner Sensei. Ich kenne den Ausdruck, wenn man etwas falsch gemacht hat. Diesen habe ich gesucht, aber nicht gefunden. Es scheint also nicht so schlecht gewesen zu sein. Auf geht es mit den nächsten fünf Techniken. Kiai. Und zurück: Ichi, Ni, San… STOP! Sensei unterbricht mich. „Ich habe genug gesehen“, sagt er. Ich bin nervös. Was ist passiert? „Als Prüfer sieht man in den ersten drei Bahnen, ob die Techniken gut ausgeführt werden oder nicht. Ich sehe, dass du gut bist!“. Erleichterung! Aber was ist mit den anderen Techniken die ich vorbereitet habe? Speziell die Kion Übungen aus der Nijushiho? Ich will es zeigen, schließlich habe ich mich darauf vorbereitet. Und ich bekomme natürlich die Zeit dafür, es zu zeigen.
Kurz durchatmen, während die anderen Prüflinge dran sind und sich selbst auf die neue Aufgabe konzentrieren. Wir drei werden gleichzeitig vorgerufen um unsere Kata zu präsentieren. Wir haben uns alle auf die Nijushiho vorbereitet. Ich sage meine Kata an. Laut. Sehr laut. So laut, dass meine Stimme noch drei Sekunden nach dem aussprechen durch die Halle schwebt. Sensei nickt, was ein gutes Zeichen ist. Und die Kata lief gut. Aber es war noch nicht das Ende. Jeder sollte sich eine weitere Kata aussuchen und diese präsentieren. Der erste Prüfling zeigt die Ji’in, der zweite die Sochin. Und was zeige ich? Ich trete vor und sage die zweite Kata genauso kämpferisch an wie die erste: „Heian Shodan.“ Sensei nickt wieder. Und langsam weiß ich, was das heißt.
Das Bunkai der Kata verlief ohne größere Zwischenfälle. Jeder sollte drei Anwendungen zeigen. Diese Aufgabe war sehr schnell erledigt und wir gingen direkt weiter zum Kumite. Ich sollte lediglich fünf Kumite Anwendungen zeigen. Nur fünf? Ich habe zehn vorbereitet und das mit unterschiedlichen Ausgangslagen, was im Summe 20 macht! Ich rede mit den Prüfern und erläutere ihnen auch den Sinn hinter meinen Anwendungen. Und Sie geben mir Zeit, um wirklich alles zu präsentieren.
Dann begannen die schlimmsten fünf Minuten in der ganzen Prüfung. Wir wurden aus der Halle geschickt, damit sich die Prüfer beraten können. Da wahrscheinlich jeder schon einmal in einer solchen Situation war, möchte ich das hier gar nicht weiter ausführen sondern Platz für die eigenen Gedanken lassen.
Wir betreten wieder die Halle. Ich sehe drei Ausweise, keine Papierschnipsel von zerrissenen Urkunden auf dem Boden und nur lachender Gesichter. Es ist geschafft! Ich habe meinen zweiten Dan bestanden. Jetzt bleibt mir nur noch eins zu sagen:
Ich danke euch allen, die mich auf meinem Weg zum zweiten Dan begleitet haben. Alle Trainer, alle Karateka, die mir Mut zum Bestehen der Prüfung gemacht haben, alle Karateka, die für mich bereit standen, wenn ich jemanden zum Trainieren brauchte und alle, die in Gedanken bei mir waren.
Domo arigato
Jesko Thomaß
Erschienen:
- Grünwalder Isar-Anzeiger, 12. März 2015