Seit Thomas Lehnert und Max Obermaier vor zwei Jahren das erste Mal dorthin fuhren und vom hervorragenden Trainingsangebot begeistert zurückkamen, ist für uns die Teilnahme fast schon obligatorisch. Diesmal machten wir uns zu siebt auf die 900 km lange Reise nach Neustadt in Holstein, das man nach 13 Stunden Fahrt im „Samurai-Bus“ (dem Jugendbus des TSV) dann auch endlich erreichte.

Statt Ruhe und Erholung von der Fahrt ging es aber gleich weiter: Anmelden und Zelte aufbauen. Zwar wurde auch die Übernachtung mit Schlafsack in der Halle angeboten, jedoch war das Campen auf der Wiese nebenan um einiges angenehmer. In der Halle konnte man nämlich sehr schnell feststellen, wie schweißtreibend Karate doch sein kann. Zu den fünf Trainingstagen vom 16.8. bis 20.8. waren insgesamt rund 500 Teilnehmer verschiedener Stilrichtungen, vor allem Shotokan und Wado Ryu, aus ganz Deutschland angereist.

Die Trainingseinheiten waren systematisch und nach Alter, Können und Schwerpunkten gegliedert, so daß sich jeder seinen persönlichen Trainingsplan zusammenstellen konnte. Morgens wurde beispielsweise Za-Zen zur Meditation angeboten, danach entweder Katatraining, Schlagtraining oder Prüfungsvorbereitung. (Eine Kata ist ein Kampf gegen mehrere imaginäre Gegner, wobei die Techniken exakt vorgegeben sind.) Während dies alles eher als Zusatzangebot galt, war für den Vor- und Nachmittag jeweils eine Art Pflichtprogramm ge-
boten.

Gleich die erste Trainingseinheit der Grün- und Violettgurte übernahm Deutschlands Karatepionier Albrecht Pflüger (6. Dan Shotokan). Seine Prüfung zum ersten Dan (1. Schwarzgurt) legte er vor über 20 Jahren in Japan bei hoch angesehenen Meistern ab und ist auch in anderen Kampfkünsten zu Hause. Die leider sehr kurze Gelegenheit nutzte er dazu, um auf die Kampfkünste und deren Ursprünge selbst einzugehen. Dabei zeigte er Anwendungen aus den Kata und deren Bedeutung in der Selbstverteidigung. Weiterhin ging er auf die vor allem von Laien immer wieder gestellte Frage ein, welcher Kampfsport denn nun die Beste sei: Keiner. Jede Kampfkunst, ob nun Karate, Judo, Ju-Jutsu, ... ist ein in sich schlüssiger Kampfstil. Im Falle der Selbstverteidigung ist die Technik die Beste, die funktioniert. Sollte ein Hebel (Aikido) oder Schlag (Karate) nicht klappen, so kann man ohne weiteres einen Wurf (Judo) ansetzen oder einen zweiten Schlag tätigen. Der Kampfsportler hat hier die freie Wahl.

Der heimliche Star des ganzen Sommerlagers war wohl Geoff Thomtson (5. Dan Wado Ryu). Der Südafrikaner beeindruckte wie schon im letzen Jahr durch Perfektion von Eleganz, Geschwindigkeit, Dynamik und Hüfteinsatz. Dabei störte es niemanden, daß er fast nur Englisch sprach, denn er verstand es perfekt den maximalen Einsatz aus den Teilnehmern herauszuholen. Er brach dabei aus gewohnten Trainingsmethoden aus und baute sein Training sehr gut durchdacht auf. Geoff Thomtson wird unter Insidern als der zu Zeit weltbeste Karateka gehandelt.

Ein weiteres Highlight war die Trainingseinheit mit Pat Mc Kay (3. Dan Shutokai). Der fünffache Weltmeister aus Schottland trainierte mit uns natürlich Kumite, den Kampf mit dem Partner. Besonders wichtig war ihm dabei die Dynamik: Schnelle Angriffstechniken und Kombinationen waren sein Ziel, ganz im Gegensatz zu seinem Freund und Kollegen Ralf Brachmann (3. Dan Shotokan). Als ehemaliger hessischer Landestrainer und mehrfacher Deutscher Meister legte er besonderen Wert auf die Nachbereitung der Technik, denn man kann nie sicher sein, ob ein Treffer auch die gewünschte Wirkung erzielt hat, und nicht doch noch ein Gegenangriff kommt. Nicht nur im Wettkampf, sondern auch auf der Straße kann dies von enormer Bedeutung sein. 

Auch Wolf-Dieter Wichmann (6. Dan Shotokan) gilt als ein Karateka der ersten Generation in Deutschland. Sein Wissen um die exakte Ausführung einer Kata, den Techniken und deren Anwendungen ist immer wieder erstaunlich und vielfältig. Die schon enorme Konzentration im normalen Training steigert er oft dadurch, indem er Katas rückwärts oder/und spiegelverkehrt machen läßt.

In die Reihe der Katatrainer reiht sich Simone Schreiner (3. Dan Shotokan) ein. Als Europameisterin 1991 verstand sie es, den Teilnehmern nicht nur die Wettkampfaspekte einer Kata näher zu bringen, sondern zeigte auch traditionelle Interpretationen in Verbindung mit enormem Hintergrundwissen auf.

Wolfgang Hagge (4. Dan Shotokan) ist Landestrainer von Schleswig-Holstein und Organisator des Sommerlagers. Sein Training orientierte sich dieses Mal am Prüfungsprogramm der Mittelstufe. Koordiniertes Training, Kondition und Training mit dem Partner (und nicht gegen ihn) waren seine Ziele.

Zwischen und nach den Trainingseinheiten sorgten die Veranstalter immer wieder für Kurzweile. Angeboten wurden diverse Seminare wie zum Beispiel der Kampfrichter Lehrgang oder das Seminar „Juristische Aspekte der Selbstverteidigung“. Bei letzterem schaffte es der Referent, die oft sehr trockenen Gesetzestexte auch für den Nicht - Juristen anhand wahrer Begebenheiten sehr anschaulich und spritzig wiederzugeben.

An zwei Abenden wurde der „Ostseepokal“ ausgetragen. Spannende Wettkämpfe und sehr gut ausgeführte Katas sorgten für Stimmung unter den Teilnehmern wie Zuschauern. Eine oft unterschätzte Fähigkeit der Karateka ist das Feiern. Wie auch schon die letzten Jahre gab es deshalb eine Begrüßungs- und eine Abschiedsparty, auf der sich Trainer und Teilnehmer bis in die frühen Morgenstunden amüsierten und erneut zahlreiche Freundschaften geschlossen werden konnten.

Trotz dieser anstrengenden fünf Tage fiel uns der Abschied schwer, denn wir hätten gerne noch mehr Wissen mit nach Hause genommen. Nichtsdestotrotz sind wir nun vollends für unseren neuen Anfängerkurs am 14. Oktober gerüstet. Hier haben Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 15 Jahren Gelegenheit, die Grundlagen des Karate zu erlernen. Natürlich werden wir demnächst wieder Fotos vom Lehrgang auf unserer Homepage http://www.Karate-Gruenwald.purespace.de/ veröffentlichen.

Max Obermaier

Erschienen:

  • Grünwalder Isar-Anzeiger, 1. Oktober 1999